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Der Küstriner Putsch

In der Nacht zum 1. Oktober 1923 hatte die Garnison überraschend Zuwachs bekommen: soge­nannte „schwarze Reichswehr" hatte einen Teil der Festung besetzt. Am Morgen dieses Tages standen auf dem Wall über dem Berliner Tor und den benachbarten Wällen mit Gewehren und Handgranaten bewaffnete Soldaten, und drohend richteten Maschinengewehre ihre Läufe in die Berliner Straße. Die Festung Küstrin, dieses vorgeschobene Bollwerk Deutschlands, das so bedeutungsvoll für die Verteidigung der Ostgrenze war, dieses Küstrin war von Rebellen be­setzt!

 

Was war geschehen, wem unterstanden diese Soldaten der schwarzen Reichswehr? Hierzu muß des besseren Verständnisses wegen etwas weiter ausgeholt werden.

 

Am 30. September 1920 verließ ein gewisser Major Buchrucker die Reichswehr, um in die „Or­gesch", eine paramilitärische Vereinigung der Provinz Brandenburg, einzutreten. Nachdem diese durch eine Verfügung des Ministers Severing aufgelöst worden war, unterbreitete Major Buchrucker den Militärbehörden des Wehrkreises III (Berlin-Brandenburg) den Plan, eine mi­litärische Organisation zu schaffen, die die auf Grund des Gesetzes vom 8. August 1920 „über die Entwaffnung der Zivilbevölkerung" abzugebenden Waffen unter dem Vorwand, sie zu sammeln und zu vernichten, in heimlichen Lagern stapelte und sie bis zu dem Tag aufbewahrte, wo man sie brauchte. Der Vorschlag war so verführerisch, daß die Offiziere des Stabes des Wehrkreises III Major Buchrucker ermächtigten, in den hauptsächlichen Garnisonen Bran­denburgs kleine selbständige Abteilungen, genannt Arbeitskommandos, zu schaffen. Nach­dem diese Arbeitskommandos in kurzer Zeit beträchtliches Material gesammelt hatten, bildete man beim Wehrkreis III eine besondere Dienststelle, genannt IaT oder „Truppenverstärkungs­abteilung", die dazu bestimmt war, in den verschiedenen Teilen Brandenburgs alle Männer zu erfassen, die im Konfliktfall schnell einen Grenzschutz bilden konnten. Buchrucker machte den Vorschlag, diese Verbände wirklich zu organisieren und in regelmäßigen Abständen einzuberu­fen. Eine sog. Stammformation sollte dauernd im Dienst bleiben, das Gros der Freiwilligen sollte immer nur für einige Wochen einberufen werden. Der Vorschlag fand die stillschwei­gende Billigung der militärischen Behörden. Es entstanden Infanterie- und Maschinengewehr­-Kompanien, Artilleriebatterien, Minenwerfer-Abteilungen und einige Sondereinheiten (Pio­niere, Transportwesen und ähnliches). Die Truppe nannte sich bald selbst „Schwarze Reichs­wehr."

 

Das Jahr 1923 brach an. Das Ruhrgebiet wurde von den Franzosen besetzt. In dem Wunsch, je­des Ereignis zu vermeiden, das den Konflikt mit Frankreich verschärfen könnte, forderte das Reichswehrministerium Buchrucker auf, die Übungen der schwarzen Reichswehr und die peri­odische Einberufung der Offiziere und Soldaten auszusetzen. Aber Buchrucker glaubte sich keineswegs verpflichtet, dieser Aufforderung zu folgen. In seinen Augen war dieser Befehl nur eine Tarnung, um die Militärbehörden im Falle von Komplikationen mit der Entente von der Verantwortung zu befreien. Daher betrieb er die Bewaffnung seiner Einheiten umso aktiver.

 

Gegen Anfang September 1923 bestanden die Streikräfte der schwarzen Reichswehr aus vier Regimentern zu je drei Bataillonen (12 000 Mann), vier selbständigen Bataillonen ( etwa 6000 Mann) und einer gewissen Anzahl motorisierter Spezialeinheiten. Das selbständige Bataillon Nr. 1 in Küstrin stand unter dem Befehl von Major Hertzer. Es war für den Grenzschutz Ost be­stimmt; denn Küstrin, in unmittelbarer Nähe Polens gelegen, hatte eine Schlüsselstellung in der Ostgrenzverteidigung des Reiches.

 

In der Truppe bestand ein hervorragender Korpsgeist. Sie wollte Deutschland vom Druck des Auslandes befreien. Sie war entsetzt, daß man die Streikenden an der Ruhr nicht wirksam un­terstützte. Die Reichswehr konnte es nicht, weil sie durch ihren Eid an die Verfassung gebun­den war. Warum aber, so fragte man sich, rief der Reichspräsident nicht den Ausnahmezustand aus und übergab die Exekutivgewalt nicht dem Militär? Aufgebracht über die Teilnahmslosig­keit des Kabinetts, entwarf Buchrucker einen kühnen Plan, um die Reichsbehörden zum Han­deln zu zwingen. Da die offizielle Reichswehr nicht eingreifen konnte, sollte es die schwarze Reichswehr an ihrer Stelle tun. Er beschloss, heimlich seine vier selbständigen Bataillone zu mobilisieren, damit sie in der Nacht vom 29. zum 30. September 1923 einsatzbereit wären. Sie sollten überraschend nachts das Regierungsviertel und die wichtigsten strategischen Punkte von Berlin besetzen. Das Küstriner Bataillon sollte in Lastkraftwagen herangebracht werden, um die drei in der Umgebung der Hauptstadt konzentrierten Bataillones» zu verstärken. Am Abend des Putsches wollte der Chef der schwarzen Reichswehr die vier Regimenter der Provinz Brandenburg mobilisieren. Sobald er die Zivilregierung in der Hand hatte, wollte er sie zwin­gen, den Ausnahmezustand zu verkünden und zugunsten einer Militärdiktatur auf die Macht zu verzichten. Die schwarze Reichswehr sollte in die reguläre Reichswehr übernommen werden.

 

Die Mobilmachung der vier selbständigen Bataillone am 15. September 1923 erfolgte ohne Zwi­schenfall. Vom 16. bis zum 25. September kamen die Freiwilligen in kleinen Gruppen in Span­dau und Küstrin an. Sie strahlten vor Begeisterung und meinten, ihr Einzug in Berlin würde den Beginn der nationalen Erhebung bedeuten.

 

Da änderte sich die Situation schlagartig. Die Reichsregierung hatte in der Nacht vom 26. auf den 27. September den Ausnahmezustand verkündet. Alle Macht war in die Hände der Militär­behörden übergegangen. Daraus ergab sich, daß die Besetzung Berlins gegenstandslos gewor­den war. Noch schlimmer: Sie wäre nicht mehr gegen die Zivilregierung gerichtet, sondern ge­gen die Reichswehr, deren Aufgabe es war, für die Sicherheit des Landes zu sorgen.

 

Und nun kam das für Buchrucker Unerwartete: Das Wehrkreiskommando, dem Buchrucker seine Einheiten zur Verfügung stellen wollte, verlangte die Remobilisierung. Hier liegt der Kernpunkt dieser Affäre. Mehrmals hatte die Reichswehr Buchrucker untersagt, seine „Reser­visten" auch nur teilweise zu mobilisieren. Aber Buchrucker hatte die Verbote immer nur als pro forma ausgesprochen betrachtet und sich darüber hinweggesetzt. Acht Monate lang hatten Reichswehr und schwarze Reichswehr in dieser zweideutigen Situation verbracht. Jetzt, da die Krise ausgebrochen war, beschuldigte General von Seeckt Buchrucker des Ungehorsams. Buchrucker wies diese Anschuldigung zurück und schob die ganze Schuld auf die Militärbe­hörden.

 

Buchruckers Versuch, die angeordnete Remobilisierung bei seinen Truppen durchzusetzen, misslang. Die Bataillonsführer und die Freiwilligen widersetzten sich der Abmusterung, sie fühlten sich verraten. Da kam wieder etwas Unerwartetes: Der Reichswehrminister befahl die Verhaftung Buchruckers.

 

Buchrucker fasste daraufhin einen verzweifelten Entschluss. Er flüchtete sich zu seinem ersten Bataillon nach Küstrin, wo er in der Nacht vom 30. September auf den 1. Oktober eintraf. Er be­fahl Oberleutnant Raphael, der eine Kompanie von 550 Mann befehligte, sich in Erwartung ei­nes aus Berlin kommenden Angriffs in Fort Gorgast zu verbarrikadieren und unter keinen Um­ständen zu weichen. Durch andere Abteilungen ließ er die Forts Säpzig und Schernow beset­zen. Dann stellte er eine Postenkette rings um die Kommandantur, drang selber an der Spitze einiger entschlossener Männer in das Gebäude ein und forderte Oberst Gudowius, den Fe­stungskommandanten, auf, gemeinsame Sache mit ihm zu machen. Gudowius erklärte ihm: „Was Sie mir da vorschlagen, ist Rebellion. Ich bin verpflichtet, Sie in Arrest zu nehmen." Dann nahm er sein Telefon ab und alarmierte die Truppen der Garnison. Kaum hatte er den Hörer aufgelegt, brach ein Stoßtrupp der schwarzen Reichswehr in den Raum ein, richtete die Ge­wehre auf den Festungskommandanten und forderte die sofortige Freilassung Buchruckers.

 

In den Mittagstunden rückten die Kompanien des 3. Pionier-Bataillons aus. Sie trugen Tafeln mit der Aufschrift: ,,Achtung! Hier wird scharf geschossen!" Die Troß-Schwadron (4. Schwadron der 3. Fahrabteilung) und das Pionier-Bataillon, welche die Garnison von Küstrin bilde­ten, reichten jedoch nicht aus, um die Revolte zu unterdrücken. Oberst Gudowius telefonierte daher mit dem Reichswehrministerium und bat auf dem schnellsten Wege um Verstärkung. Gegen 19 Uhr erschienen statt der erwarteten Truppen zwei Lastwagen mit Freiwilligen der schwarzen Reichswehr in der Stadt, die von den anderen Aufständischen begeistert empfangen wurden. Dann kam es zu ersten Zusammenstößen zwischen den legalen Truppen und den Re­bellen. Die Reichswehr eröffnete das Feuer: Es gab zwei Tote und sieben Verwundete.

 

Im Laufe der Nacht trafen das Infanterie-Regiment Nr. 8 sowie die Kavallerie-Regimenter Nr. 2 und 9 aus Frankfurt/O. in Küstrin ein. In letzter Minute konnte durch das besonnene Eingreifen des Generalmajors Teschner, Kommandant der Festung Küstrin von 1920 bis Juli 1923, ein Kampf zwischen der schwarzen und der regulären Reichswehr verhindert werden. Major Buch­rucker sah, dass er die Einwilligung der Militärbehörden nicht mehr erzwingen konnte, und da er auf jeden Fall weiteres Blutvergießen vermeiden wollte, übergab er Oberst Gudowius seinen Degen. Am 2. Oktober um 2 Uhr nachts ergaben sich auch die Rebellen, die sich im Fort Gor­gast verbarrikadiert hatten, ohne von der Waffe Gebrauch zu machen. Und frühmorgens am 3. Oktober hissten auch die Abteilungen in Säpzig und Schernow die weiße Fahne.

 

Die drei Bataillone, die in Spandau und Hahneberg zum Marsch auf Berlin bereitlagen, ergaben sich bedingungslos den Behörden des Wehrkreises III, als sie von dem Zusammenbruch der Revolte in Küstrin und von der Verhaftung ihres Chefs erfuhren. Der „Friede" war wiederher­gestellt, der sogenannte Küstriner Putsch vorbei - bis auf das gerichtliche Nachspiel.

 

Major Buchrucker wurde vor ein Sondergericht gestellt, das am 25. Oktober 1923 in Cottbus tagte. Er wurde wegen Hochverrats zu zehn Jahren Festungshaft sowie zu einer Buße von 100 Milliarden Mark - das waren 10 Goldmark - verurteilt. Er wurde im Oktober 1927, nach vier Jahren Festungshaft in Gollnow, von Generalfeldmarschall von Hindenburg amnestiert. Seine hauptsächlichen Mitkämpfer bekamen Strafen zwischen drei Monaten und zweieinhalb Jahren Gefängnis. Die Heeresleitung der Reichswehr verfügte die sofortige Auflösung der „Arbeits­kommandos". Die schwarze Reichswehr hörte auf zu bestehen.

62)  Bataillon Nr. 2 unter Hauptmann Gutknecht in der Festung Spandau und in Berlin. Bataillon Nr. 3 unter Oberleutnant von Senden in der Festung Spandau und Bataillon Nr. 4 unter Hauptmann Stennes in Fort Hahneberg bei Berlin.

700 Jahr Feier

"Vor 700 Jahren geboren, Zum Fischerdorf erkoren, Wuchst Du zur Stadt empor, Mit Festungswall und Tor.

Trotztest der Feinde Jeglichem Stoße,

Es weilte in Dir

Friedrich der Große.

So rollten Jahrhunderte Über Dich hin,

Heut bist Du umjubelt,

Du altes, erblühtes Küstrin."