Die Entente

Die Abrüstung und Entwaffnung Deutschlands gemäß Teil V des Versailler Vertrages sollte durch eine „Interalliierte Militär-Kontrollkommission" (IMKK) überwacht werden. Die Kom­mission unter der Führung des französischen Generals Nollet hatte ihr Hauptquartier in Berlin und bestand von Mitte 1920 ( eine Vorausabteilung war bereits am 16. September 1919 eingetrof­fen) bis zum 30. Januar 1927. Die 295 Offiziere, welche diese Tätigkeit wahrnahmen, wurden zu ca. 50 % von Franzosen, ca. 30 % von Engländern und ca. 20 % von Angehörigen anderer Natio­nen gestellt. Die überhöhten Ausgaben dieser Kommission, die natürlich von Deutschland zu bestreiten waren und durch Lord Newton am 7. März 1922 im englischen Oberhaus gegeißelt wurden, lagen pro Monat bei 1,2 Millionen Goldmark. Demgegenüber benötigte das ganze da­malige deutsche Offizierskorps einschließlich der Marine nur 688 500 Mark pro Monat. Zur Tä­tigkeitskontrolle dieser kostspieligen Institution und zur Sicherstellung und Erleichterung einer schnellen Abwicklung der Abrüstung in den Grenzen des Versailler Vertrages bestand seit Frühjahr 1920 die deutsche Heeresfriedenskommission.

 

Gemäß Artikel 180 des Versailler Vertrages sollte das Befestigungssystem an Deutschlands Ost ­und Südgrenze so verbleiben, wie es am 10. Januar 1920 - dem Tage des Inkrafttretens des Ver­sailler Vertrages - bestand. Gemäß Artikel 167 waren die Zahl und die Kaliber der Geschützbe­stückung dieser Festungen bekannt zu geben, doch wurde nun verlangt, die Anzahl der Ma­schinengewehre, Minenwerfer, Handfeuerwaffen etc. gleichfalls auf die Listen zu setzen. Au­ßerdem entschied die IMKK entgegen dem Wortlaut des Versailler Vertrages, dass außer Kö­nigsberg keine Festung im Osten mit Geschützen und Nahkampfmitteln zulässig sei. Durch das Londoner Ultimatum wurde die deutsche Regierung gezwungen, diese Bedingungen anzu­nehmen.

 

Von den Festungswerken verschwanden die Festungsgeschütze. Alles bot bald ein Bild gäh­nender Leere, wenn man in die Gewölbegänge sah, in denen vor den Schießluken einst die Fe­stungsgeschütze aufgestellt waren. Im Hohen Kavalier hatten Soldaten eine Anzahl Kanonen in abseits liegenden Gewölben abgestellt und dann „vergessen" sie auszuliefern. Eine von Zeit zu Zeit in Küstrin erscheinende Kontrollkommission überprüfte die restlose Entwaffnung der Garnison und durchstöberte auch die Kasematten. Sie wurde dabei stets von einem ortskundi­gen Arbeiter so geschickt durch die vielen dunklen Wallgewölbe geführt, dass sie diese Kanonen niemals entdeckte. Hierbei sei auch eines Husarenstreiches gedacht, den ein Zorndorfer Lehrer mit einer Gruppe Gleichgesinnter um 1920 ausübte. Es gelang ihnen, mit großer Mühe zwei Geschütze aus dem dortigen Fort zu entführen und in einen nahen Teich zu versenken. Die Heeresabrüstung wurde von der IMKK noch großzügiger ausgelegt. Man verlangte die Vernichtung von Geburtslisten und Standesamtsnachweisungen bei Kommunal- und Landbe­hörden, die für eine eventuelle Rekrutierung dienlich sein konnten, sowie der Akten der Land­wehrbezirkskommandos. Die Überwachung erstreckte sich auf Polizei, Kriminalpolizei, Straf­anstaltsbeamte, Wasserschutz, Nachtwächter und Förster, auf Post- und Telegraphenämter.

 

Zur Vernichtung bestimmtes Kriegsmaterial aller Art stapelte sich alsbald auf dem Exerzier­platz und auf dem Hohen Kavalier. Der Exerzierplatz glich zeitweise einem Materialdepot. Ge­schütze, sonstige Waffen und Munition aller Art wurden dorthin geschafft. Aus den Beständen des Artilleriedepots wanderten ferner Wagen aller Art zum Exerzierplatz, u. a. hunderte von Packwagen und stabil gebauten Schlitten, die für den Winterfeldzug im Osten nicht mehr einge­setzt worden waren. Was von den Fahrzeugen nicht mehr zu verwenden war oder keine Ab­nehmer fand, wurde - wie beispielsweise die Schlitten - zu Brennholz gemacht und landete in so mancher Küstriner Haushaltung. Auf dem Hohen Kavalier mussten die dort zusammenge­tragenen feinmechanischen Nachrichtenapparate und Ferngläser von Arbeitern mit schweren Hämmern in Schrott verwandelt werden.

 

Im Zusammenhang mit der Vernichtung allen Kriegsgerätes verlangten französische Offiziere, die Stadt solle auch die Pontons, auf denen die Badezellen im Klößling aufgebaut waren, ver­nichten. Die Eingabe des Küstriner Magistrats an das Kommando Berlin unter General Nollet wurde abschlägig beschieden. Daraufhin fuhr der Küstriner Stadtbaurat Hecht nach Berlin und trug sein Anliegen vor. Nach Beratung mit seinen Offizieren sagte Nollet, dass er zu seinem Be­dauern die Genehmigung zum Verbleib der Pontons nicht erteilen könne. Als ihm der Stadt­baurat darauf etwas verstimmt entgegnete: ,, Um die paar Pontons dürfte die Entente doch keine Angst haben", erwiderte Nollet sofort: ,,Angst non, Angst non, aber die Deutschen sind sehr kriegerisch." Schließlich überließ Nollet Küstrin aber doch die Pontons.

 

Der Ententekommission, die häufig in Küstrin war, um eine Unbrauchbarmachung des vor­handenen Kriegsmaterials zu überwachen, war auch das große Kasernengebäude in der Lands­berger Straße, wo das Infanterie-Regiment Nr. 48 gelegen hatte, ein Dorn im Auge. Am liebsten hätte sie es ganz oder teilweise abgerissen. Nur den Bemühungen des damaligen Regierungsra­tes Dr. Westendorf, der als Chef des Finanzamtes, der größten in dem Hause untergebrachten Behörde, so eine Art Hausverwalter zu spielen hatte, war es zu verdanken, dass sich die Kom­mission von der dringenden Notwendigkeit überzeugen ließ, das Gebäude für zivile Zwecke zu erhalten.