Ein großer Gefangener

Friedrich Wilhelm I. (1713-40), der Enkel des Großen Kurfürsten, hat die Festung im guten Verteidigungszustand erhalten. An besonderen Maßnahmen ist vor allem die Erbauung der Neustadt im Jahre 1735 zu nennen. Der Gouverneur von Lepel soll sich dem Bau der Neustadt energisch widersetzt haben, und zwar nicht aus militärischen Gründen, sondern weil sein schö­ner Garten in Mitleidenschaft gezogen wurde. Er soll sogar die Ansiedler von den Bauplätzen gejagt haben. Ein Jahr später hatte er dazu aber keine Zeit mehr, denn nun wurde in seinem ei­genen Ressort gebaut. Im Frühjahr 1736 ließ Friedrich Wilhelm I. die erst 1672 von seinem Großvater erbaute Bastion Brandenburg wegen Beschädigung abreißen und völlig neu auf­bauen. Er tat nun einmal nichts halb.

 

Friedrich Wilhelms Hauptsorge galt jedoch der Truppenvermehrung. Um die Einquartierungs­lasten der Küstriner Bürger nicht übermäßig zu steigern, gab er fiskalisches Gelände in der Schulstraße und Berliner Straße sowie am Renneplatz zum Bau neuer Bürgerhäuser her, und vor dem Berliner Tor ließ er am Hornwerk militärische Unterkünfte errichten. Im allgemeinen lagen die Soldaten jedoch in Bürgerquartieren.

 

Garnisonen und Regimenter

Am 1. Juni 1713 wurde aus der Garnison Küstrin und der Freikompanie Driesen das Feld-Batail­lon das Generalleutnants von Schlabrendorff gegründet, welches zusammen mit dem für Gene­ralmajor Anton von Pannewitz errichteten Feld-Bataillon am 27. September 1715 als I. und II. Bataillon zum Regiment vereinigt wurde, dessen Chef der zum General der Infanterie ernannte Generalleutnant von Schlabrendorff wurde, der von 1703 bis 1715 Gouverneur der Festung war. Unter Friedrich dem Großen kämpfte es als Musketier-Regiment Nr. 25. In Küstrin lag das seit 1717 bestehende Garnison-Regiment von Rinsch. Seine Mannschaften dienten später u.a. als Stamm für das am 18. Febraur 1728 aufgestellte Füsilier-Regiment in An­klam und Demmin, welches dann als Musketier-Regiment Nr. 30 in den Schlesischen Kriegen Friedrichs des Großen focht. Ferner waren hier von 1725- 39 die „Grenadiers zu Pferde", das spätere Dragoner-Regiment Nr. 3, stationiert.

 

Umbau des Küstriner Schlosses

Der sehr sparsame König änderte den Charakter des Schlosses gründlich. Aus dem ehemaligen würdevollen Fürstenschloss wurde ein nüchternes Verwaltungsgebäude. Die Kupferplatten der Dächer mussten in die Geschützgießereien wandern. Die noch im Schloss vorhandenen Prunk­möbel und Bilder kamen in andere königliche Schlösser. Die Zimmer wurden 1723 Verwal­tungs- und Geschäftsräume der 1718 gebildeten Kriegs- und Domänenkammer (vorher Amts­kammer) der Neumark, einige von ihnen als Wohnung dem Kammerpräsidenten von Mün­chow überlassen. Der Renneplatz wurde zum Exerzierplatz.

 

Das Schloss wurde für Kronprinz Friedrich zum Gefängnis

Im August 1730 mussten auf Befehl des Königs zwei Zimmer der Präsidentenwohnung im I. Stock des neueren Schlossflügels „vor einen großen Gefangenen" eingerichtet werden. Der große Gefangene war sein Sohn, der Kronprinz Friedrich. Er hatte mit Unterstützung seines Freundes, des Gardeleutnants Hans Hermann von Katte-», der zu strengen Zucht seines Vaters entfliehen wollen. Der Plan wurde jedoch vorzeitig entdeckt. Der darüber aufs höchste erzürnte König sah die Tat der beiden als versuchte Fahnenflucht an, ließ beide verhaften und Katte in Berlin und Friedrich in Küstrin einsperren.

 

Am 5. September 1730 wurde der Kronprinz in eins der oben genannten Zimmer in verschärfte Einzelhaft gesetzt: das Küstriner Schloss war zu einem Gefängnis geworden. Hier hat er die Zeit vom 5. September bis 19. November 1730 zugebracht. Die Ausstattung des Gefängnisses war äußerst einfach: Ein Bett, ein Tisch, mehrere Stühle, ein Schmutzeimer, ein Leuchter mit Talg­kerze und drei religiöse Bücher.

 

Ausschließlich Talglichte für den Gefangenen

Friedrich Wilhelm I. befürchtete einen Fluchtversuch des Kronprinzen. Daher wurden nicht nur die Fenster außen mit Gittern versehen, ferner die Zahl der Posten in der Festung verstärkt und eine äußerst strenge Kontrolle des Fremdenverkehrs in der Stadt befohlen, sondern auch eine Kompanie zur Verstärkung der Wachen von Peitz, der kleinen Festung in der Niederlau­sitz, dorthin verlegt. Ferner befahl der König noch: ,,Die Tür (zum Zimmer des Kronprinzen) muss Tag und Nacht wohl verschlossen sein und zwei große Vorhängeschlösser davor gehängt werden. Die Schlüssel soll der Gouverneur in seiner Verwahrung halten. Alle Morgen um 8 Uhr soll aufgeschlossen werden, da dann zwei Offiziere hineingehen sollen, um zu visitieren, ob alles richtig ist. Ein Kalfaktor von der Wache soll dem Arrestanten ein Becken, auch ein Glas Wasser bringen, sich zu reinigen, soll auch die Unreinigkeit aus der Kammer tragen. Dies darf nicht länger als eine Viertelstunde dauern, alsdann die Offiziere hinausgehen und alles wieder fest zugeschlossen wird. Des Mittags um 12 Uhr wird ihm ein Essen hineingeschickt, wie schon verordnet ist, und die Tür gleich hinter ihm zugeschlossen. Des Abends um 6 Uhr wird wieder geöffnet und etwas Essen hineingetragen. Die unreinen Schüsseln und Teller vom Mittagessen werden jetzt mit hinausgenommen, die vom Abendessen am nächsten Morgen. Die Tür wird nur dreimal aufgeschlossen und darf nicht länger als vier Minuten aufbleiben. Bei dem Auf­- und Zuschließen sollen immer zwei Kapitäne dabei sein. Diese sollen bei der größten Ungnade nicht mit dem Prinzen sprechen. Wenn er sie fragt, was passiert, sollen sie nicht antworten". Der Gouverneur, Generalmajor Otto Gustav von Lepel, erhielt auf Anfrage den Bescheid, ,,dem Gefangenen keine Messer und Gabel zu geben, sondern vorher alles Essen entzwei­schneiden zu lassen." Alle vier Wochen hatte der Gouverneur eine Rechnung „von der suste­nance Sr. Kgl. Hoheit des Kronprinzen" einzureichen. Bei der ersten eingereichten Rechnung strich der König die darin aufgesetzten zwei Wachslichte (pro Tag) und ordnete an, dass künftig nur Talglichte dem Kronprinzen gegeben werden sollten.

 

Indes fand sich jedoch Gelegenheit, einige dieser strengen Anordnungen zu umgehen. Der Kammerpräsident von Münchow empfand das Schicksal des unglücklichen Königssohnes mit inniger Anteilnahme. Sein jüngster Sohn, acht Jahre alt, konnte französisch plappern und wurde von den Wachen zur Unterhaltung des Gefangenen öfter in das Arrestzimmer gelassen. Diese Nachsicht benutzte seine Mutter, ließ ihn einen langen Pelzrock anziehen, in dessen tie­fen Taschen er dem Kronprinzen allerlei verbotene, aber erwünschte Gegenstände, wie Obst, Delikatessen, Briefe usw. zutrug. Friedrich hat ihm diesen Liebesdienst nicht vergessen. Er ließ ihn später nach Berlin kommen, um seine Ausbildung zu vollenden. Er wurde Leibpage, später Leutnant in der Garde und war mehrere Jahre nach der Thronbesteigung Friedrichs ständig um den König, zuletzt war er Oberst. Als Kind hat er die Hinrichtung Kattes mit angesehen und spä­ter darüber berichtet.

 

Der letzte Gang Kattes

Im Morgengrauen des 6. November 1730 traten der Küstriner Festungskommandant Oberst von Reichmann und ein Offizier der Wache in das Zimmer des Kronprinzen und teilten ihm mit, dass in wenigen Stunden sein Freund Katte dicht vor dem Fenster hingerichtet würde und dass der Kronprinz auf Befehl des Vaters dem grausigen Schauspiel zusehen müsse. Friedrich stand an dem ersten Fenster der rechten Seite des Zimmers (dieses Fenster war bis in die Neu­zeit zugemauert, was wohl auf Befehl Friedrichs nach dem Neubau des Schlosses nach 1758 ge­schehen ist), als der Zug mit Katte in der Mitte vorüber kam. Er rief ihm schluchzend zu: ,,Par­donnez-moi, mon eher Katte!" (,,Ich bitte Sie um Vergebung, mein lieber Katte!") Der antwor­tete mit fester Stimme: ,,La mort est douce pour un si aimable prince!" (,,Der Tod ist süß für einen so liebenswerten Prinzen!") Danach brach Friedrich in seiner Zelle ohnmächtig zusam­men und wurde somit vor dem Anblick der Hinrichtung bewahrt. Katte starb unter dem Schwert des Berliner Scharfrichters Coblentz.

 

Die Hinrichtung Kattes hat die Gemüter zu allen Zeiten erregt. War es Gesetz oder Willkür? War es Gerechtigkeit oder Grausamkeit? Die damaligen Zeitgenossen fanden es zwar streng, aber doch in der Ordnung. Selbst Kattes Familie scheint den auf Tod lautenden Machtspruch des Königs in seinem Rechte keinen Augenblick angezweifelt zu haben. Es widerstrebt nur, dass der König hier in die Rolle des Richters wechselt und das Recht über die Gnade gehen lässt. Das muss er aber wohl selbst im eigenen Herzen empfunden haben, denn seine „Cabinettsordre" vom 1. November 1730 schließt er mit dem Satz: ,,Wenn das Kriegsgericht dem Katten die Sen­tence publicirt, soll ihm gesagt werden, dass es Sr. Königlichen Majestät leid thäte, es wäre aber besser, dass er stürbe, als dass die Justiz aus der Welt käme."

 

Ein Urteil der Staatsräson willen

Fontane, mit dem ihm eigenen Gespür für Geschichte, urteilte über den 6. November 1730, an dem das Haupt Kattes auf Bastion Brandenburg fiel, ,,dass dieser Tag schwerer wiegt als die Ge­samtsumme dessen, was vorher und nachher an dieser Stelle geschah, und dass er als Gegen­stück zu dem 18. Juni 1675, dem Tage von Fehrbellin, gelte. Mit diesen beiden Tagen, dem hei­teren 18. Juni und dem finsteren 6. November, beginnt unsere Großgeschichte. Aber der 6. No­vember ist der größere Tag, denn er veranschaulicht in erschütternder Weise jene moralische Kraft, aus der dieses Land, dieses gleich sehr zu hassende und zu liebende Preußen, erwuchs." Das Urteil musste um der Staatsräson willen so ausfallen, Katte musste sterben, damit Preußen glaubhaft blieb.

 

Wo das Haupt Kattes fiel

Die Frage, wo Kattes Haupt fiel und wo der Kronprinz stand, ist durchaus nicht eindeutig und bestimmt zu beantworten. Es gab mindestens sieben verschiedene Schilderungen der Hinrich­tung Kattes. Erst der Divisionsprediger Hoffbauer zu Küstrin ist in einer 1867 erschienenen Pu­blikation dieser Frage gründlich näher getreten. Hiernach ist der wahrscheinlichste Ort der Hin­richtung die in der von Fontane angefertigten Skizze, mit einem Kreuz bezeichneten Stelle. Fon­tane selbst neigt hingegen dazu, dass die Hinrichtung auf dem Hof von Bastion Brandenburg stattfand. Er ist der Ansicht, dass nur hier Raum und Gelegenheit zu bequemer Aufstellung von 200 Mann gegeben war. Der von Hoffbauer bevorzugte Platz schien ihm sehr eng und zu solcher Aufstellung nur gerade notdürftig ausreichend.

Die Frage, ob ein Befehl ergangen war, dass Friedrich der Hinrichtung seines Freundes Katte zusehen sollte, ist umstritten. Ohne Rücksicht darauf, ob ein solcher Befehl ergangen ist oder nicht, bleibt die Frage offen, ob Friedrich die Enthauptung Kattes tatsächlich mit ansehen konnte. Von den südöstlichen, nach dem Stadtgraben zu liegenden Fenstern des Arrestzim­mers konnte die Richtstätte wegen einer damals vorhandenen hohen Mauer nicht gesehen wer­den. Von dem historischen Eckfenster aus aber war der Blick dorthin durch den Weißkopf und dem von den Soldaten gebildeten Kreis versperrt, selbst wenn der Zuschauer sich weit hinaus­gelegt hätte. Die Frage kann aber offen bleiben; denn Friedrich erlitt, nachdem er mit seinem vorbeigeführten Freund die Abschiedsworte gewechselt hatte, einen Ohnmachtsanfall. Als er wieder zur Besinnung kam, war alles vorüber.

 

Katte wurde auf dem Hospitalfriedhof, vereinzelt auch Armenfriedhof genannt, in der Kurzen Vorstadt von 12 Bürgern der Stadt beigesetzt. Hier ruhte der Tote, bis der Familie zugestanden war, ihn umzubetten und auf dem Rittergut Wust in der Nähe von Jerichow bestatten zu lassen.

 

Friedrichs Unterwerfung

Zurück zu Friedrich: Am 19. November 1730 schwor der Kronprinz vor einem Sonderausschuss, dem König unbedingt gehorsam zu sein. Friedrich erhielt seinen Degen zurück und durfte wie­der den Schwarzen-Adler-Orden tragen. Im Übrigen verwandelte der König die strenge Einzel­haft in Festungshaft. Man mietete für den Kronprinzen ein Haus in der Altstadt nahe am Wall. Sein Hofmarschall wurde Herr von Wolden. Außerdem standen ihm zwei Kammerjunker, die Herren von Natzmer und von Rohwedell, zur Verfügung. Ferner gab es zwei Pagen und einen Kammerdiener für den Kronprinzen, außerdem vier Lakaien. Von Wolden erhielt vom König eine seitenlange und sehr strenge Instruktion, in welcher Friedrichs Tageslauf bis in die klein­sten Einzelheiten festgelegt wurde.

 

Friedrich sollte bei der Küstriner Kriegs- und Domänenkammer arbeiten. Nach des Königs Wil­len sollte er lernen, dass „kein Staat bestehen könne sondern Wirtschaft und gute Verfassung, und dass unstreitig das Wohl des Landes davon dependiere (abhänge), dass der Landesherr alles selbst versteht; sonst falle er in die Hände der Günstlinge." Friedrich musste von der Pike auf lernen und dem Vater regelmäßige Arbeitsberichte einsenden. Unter Leitung des Präsidenten von Münchow und des Kammerdirektors Hille, einem erfahrenen und weitsichtigen Lehrmei­ster, begriff der Kronprinz in diesen Küstriner Lehrjahren sehr schnell, in welchem Maße ein modernes Staatswesen von der Qualität seiner ökonomischen Basis abhängig ist. Er ließ es sich ernstlich angelegen sein, sich über alle Einzelheiten der ökonomischen Verwaltung, den Vieh und Futterbestand und ähnliche Dinge gründlich zu unterrichten. Er berichtete selber dem König über seine Erfahrungen und machte Vorschläge, wie man alle diese Dinge verbessern und den Ertrag erhöhen könne. Die praktische Schulung, die Friedrich auf der Küstriner Kriegs- und Domänenkammer durchgemacht hat, waren grundlegend für seine spätere hoch­bedeutsame Wirksamkeit auf den Gebieten der Landwirtschaft und Volkswohlfahrt.

 

Die Ge­schäfte der Domänenkammer füllten Friedrich jedoch allein nicht aus. Der Generalmajor von Schwerin besorgte ihm deshalb einen jungen Mann zur Gesellschaft, der ausgezeichnet Flöte spielen konnte. Es war Michael Gabriel Fredersdorf, ein junger Mensch von zweiundzwanzig Jahren. Er nannte sich „Hautboist", wie man damals die Oboisten schrieb, aber er spielte außer der Oboe auch sehr gut Flöte. Fredersdorf, den Friedrich nach seinem Regierungsantritt als sei­nen „Geheimen Kämmerer" behielt und mit dem ihn eine aufrichtige und enge Freundschaft verband, wurde nun sein Gefährte bei den ersten Anfängen erneuten Musizierens in Küstrin.

 

Versöhnung mit dem König

Als der König an seinem Geburtstag am 15. August 1731 auf der Durchreise nach Sonnenburg zum Johanniterorden Küstrin passierte, empfing er zum ersten Mal seinen Sohn in der Kom­mandantur. Der Prinz warf sich in tiefer Erschütterung vor seinem Vater nieder und erhielt Ver­zeihung; der Vater umarmte ihn herzlich. Friedrich durfte von nun ab die Festung nachmittags verlassen. Er erhielt die Erlaubnis, auch die Domänen in der Umgebung zu besuchen, um sich auch praktisch von allen Dingen zu unterrichten. Langsam, besonders im Schloss zu Tamsel bei der Familie des Obristen von Wreech, fand er seine frühere Heiterkeit wieder. Mit der Hausher­rin Frau Luise Eleonore von Wreech, die der junge Friedrich anhimmelte, verband ihn ein hei­terer Briefwechsel. Friedrich machte Verse, und Frau von Wreech mühte sich gleichfalls mit solchen ab. Als er 27 Jahre später, nach der Schlacht bei Zorndorf, in Tamsel vor dem von den Russen verwüsteten Schloss saß, schrieb er an die nun aller ihrer Habe beraubten einstige Ge­fährtin glücklicherer Stunden jenen Brief mit dem Versprechen zu helfen, den die Biographen zu den menschlichsten und rührendsten seines Lebens rechnen. Mit anderen Erinnerungs­stücken wurde dieser Brief im Friedrichsmuseum des Küstriner Schlosses aufbewahrt.

 

Die Hochzeit der Lieblingsschwester

Am 20. November 1731 nahm Friedrich an der Hochzeit seiner Lieblingsschwester Wilhelmine mit dem Erbprinzen von Bayreuth in Berlin teil und wurde vom König auf Drängen des alten Fürsten Leopold von Dessau wieder in das Heer aufgenommen. Als er sich sogar bereit erklärte, die von seinem Vater bestimmte Prinzessin Elisabeth von Braunschweig-Bevern zu heiraten, durfte er am 26. Februar 1732 endgültig Küstrin, ,,seine Galeere", verlassen. Fast eineinhalb Jahre hat sein Aufenthalt hier gedauert. Es waren die bittersten Jahre seines Lebens. Aber er reifte in dieser leidvollen Zeit zum Manne. Das Küstriner Schloss hat er Zeit seines Lebens nicht mehr betreten. Er hat es aber die Stadt nicht entgelten lassen, was er in ihren Mauern erleben musste, sondern half als späterer König großzügig mit Geldern beim Wiederaufbau der 1758 zer­störten Stadt.

 

Die Küstriner Zeit hat Hinze in der Festschrift zur 700-Jahr-Feier der Stadt Küstrin im Jahre 1932 in etwa folgendermaßen gewürdigt: ,,Damals erfüllte sich in Küstrin ein Völkerschicksal. In jenen Novembertagen 1730 wurde dem Preußischen Staat sein größter König geschmiedet. Aus Schmerz und Seelennot, aus Todesangst und inbrünstigen Gottesgebeten wuchs in Küstrin in einer jungen Menschenseele, die in wenigen Tagen um Jahre reifte, etwas auf, was das eigene Leben und das des Preußischen Staates für die Zukunft bestimmten sollte und was eigentlich als unzerstörbares Erbe über unserer Nation schweben sollte: der heilige Begriff des Preußentums ! Und dieser heißt: Das eigene, selbstische Ich muss zu brechen, um sich in Selbstaufopferung der Idee der Nation hinzugeben. Es ist der Begriff der eisernen Pflicht am Ganzen. Erst Jahrzehnte später hat Immanuel Kant, der preußischste aller Philosophen, diesen Begriff der Pflicht in ein philosophisches System gebracht, womit sich noch heute die ganze Welt, wenn sie Anspruch auf Moral erheben will, auseinandersetzen muss."

 

Man wird wohl mit Fug und Recht sagen dürfen, dass aus dem Kronprinzen Friedrich ohne das Küstriner Erlebnis kaum der erste Diener seines Staates geworden wäre, der - das Werk seines Vaters fortsetzend - zum Vollender preußischer Haltung schlechthin wurde. Preußentum ist nie eine Sache für Bequeme gewesen, sondern bedeutete immer Selbstüberwindung. Pflichter­füllung - ,,mehr sein als scheinen", Küstrin ist der Schlüssel dazu.

38) Hans Hermann von Katte. Leutnant im Regiment Gensdarmes, geb. am 28. Februar 1704 in Berlin, enthauptet am 6. Novem­ber 1730 in Küstrin. Er war vom Kriegsgericht zu Köpenick zu lebenslänglicher Festungshaft verurteilt worden. Friedrich Wil­helm l. wandelte das Urteil in Todesstrafe um.